Zum Beschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster über die Bayer-Kohlenmonoxid-Pipeline hat Bürgermeister Dr. Thomas Dünchheim am 18. Dezember gegenüber der Presse folgende Stellungnahme abgegeben:
1. Der 20. Senat des obersten Verwaltungsgerichts NRW hält das Rohrleitungsgesetz und den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung vom 14. Februar 2007 für verfassungswidrig. Man teilt die Bedenken der Stadt Monheim am Rhein, unterlegt durch das in Auftrag gegebene Gutachten von Prof. Dr. Stefan Muckel, Universität zu Köln. Die im Rohrleitungsgesetz und im Planfeststellungsbeschluss festgesetzten Ziele seien mit Blick auf das Allgemeinwohlerfordernis für Enteignungen gemäß Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zu unbestimmt.
„In einer solchen Situation allgemein und ohne weiteres zur Enteignung unternehmerisch nachgefragter Flächen zu greifen, würde der Bedeutung von Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG nicht gerecht“ (vgl. Seite 10 des Beschlusses).
Damit lehnt sich das OVG NRW an die tragenden Gründe der Entscheidung des OVG Hamburg zur Verhinderung der Start- und Landebahn für den Airbus A 380 in Finkenwerder an (OVG Hamburg, Beschluss vom 9. August 2004, 2 Bs 300/04).
Ferner hält das OVG NRW das Rohrleitungsgesetz in sofern für verfassungswidrig als dass das Allgemeinwohlerfordernis für die Enteignung durch das Gesetz selbst nicht dauerhaft gesichert sei:
„Das Rohrleitungsgesetz enthält keine Regelung, die eine – zumal dauerhafte – Sicherung des in seinem § 2 genannten Enteignungszwecks bewirken könnte“ (vgl. Seite 15, 2. Absatz des Beschlusses).
Das OVG NRW schreibt somit konsequent die Anforderungen für privatnützige Enteignungen fort, die das Bundesverfassungsgericht in den 80er Jahren im Falle „Boxberg“ aufgestellt hat. Zu Recht lehnt das Gericht die maßgeblich von Herrn Prof. Dietlein in seinem Rechtsgutachten für die Bayer Material Science vertretene Theorie eines „Vertrauensvorschusses“ für Großunternehmen ab.
2. Im zweiten Schritt hält das Oberverwaltungsgericht auch die Abwägung zur Trassenwahl für rechtswidrig. Vor allem eine Überprüfung und Abwägung eines linksrheinischen Verlaufs der Rohrleitungsanlage sei aufgrund der linksrheinischen Lage des Anfangs-/Endpunktes der Trasse und des bogenförmig nach Osten ausgreifenden planfestgestellten Verlaufes erforderlich gewesen.
„Über das Fehlen von zur Bündelung tauglicher, linksrheinisch vorhandener Infrastruktur oder über sonstige, ggf. für bzw. gegen eine linksrheinische Trassenführung anzuführenden Umstände verlautbart der Planfeststellungsbeschluss nichts Konkretes“ (vgl. Seite 20 des Beschlusses).
Diese Erwägung hätten insbesondere aufgrund des Wegfalls der Propylen-Pipeline angestellt werden müssen.
3. Zum Thema „Stand der Technik“ hält sich das Oberverwaltungsgericht zurück. Es lässt die Frage der erforderlichen Sicherheitsstandards dahin stehen. Bemerkenswert ist jedoch folgendes orbiter dictum:
„Die ergänzenden inhaltlichen Vorgaben (des Planfeststellungsbeschlusses) etwa zur Leckerkennungszeit präzisieren den Stand der Technik jedenfalls nicht umfänglich.“ (vgl. Seite 24 des Beschlusses)
4. Das Oberverwaltungsgericht hat bezüglich der konkreten Tenorierung des Beschlusses rein praktische Erwägungen angestellt. Man hält es für einfacher und letztlich auch kostengünstiger, die Rohrleitung zu Ende zu bauen, anstatt jetzt über Jahre hinweg offene Baustellen zu sichern, was gerade unter dem Gesichtspunkt der Korrosion erhebliche Probleme mit sich gebracht hätte. (Vgl. Seit 26 des Beschlusses).
Allein aus diesen Gründen beschränkt man die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auf den Betrieb der Kohlenmonoxid-Rohrfernleitungsanlage. Im Ergebnis ist die Entscheidung daher nicht etwa nur ein Teilerfolg, sondern ein Erfolg auf der ganzen Linie. Sowohl Rohrleitungsgesetzt wie Planfeststellungsbeschluss sind verfassungswidrig. Von Letzterem ist allenfalls das Deckblatt geblieben
5. Gegen die Beschlüsse des Oberverwaltungsgericht gibt es keine Rechtsmittel; das bedeutet, bis zur einer rechtskräftigen Entscheidung über die Hauptsacheverfahren – dieses wird über mehrere Instanzen mindestens 5 Jahre dauern – keine Inbetriebnahme der CO-Pipeline erfolgen darf.
6. Als Fazit ist festzuhalten, dass die verfassungsrechtliche Argumentation der Stadt Monheim am Rhein aufgegangen ist. Die Beschlüsse stellen eine schallende Ohrfeige für den Landesgesetzgeber und auch für die planfeststellende Behörde, der Bezirksregierung Düsseldorf, dar. Es war wichtig und entscheidend, dass die Stadt Monheim am Rhein gemeinsam mit den übrigen kreisangehörigen Städten ihre Argumentation durch die Beauftragung des verfassungsrechtlichen Gutachtens von Herrn Prof. Dr. Muckel unterstützt hat.
Bedauerlicherweise sind die hierzu erfolgten Beschlüsse gegen die Stimmen der SPD in Monheim am Rhein gefasst worden. Die Bayer AG ist gut beraten, ihre millionenschwere Investition in die Pipeline aufzugeben. Diese Fehlplanung lässt sich ohnehin in keinem Wirtschafts- und Erfolgsplan der Welt darstellen.