„Deshalb ist es so wichtig, der Diskriminierung zu widersprechen“

Zur Gedenkstunde an die Pogromnacht vom 9. November 1938 erzählte Bürgermeister Daniel Zimmermann von den Ereignissen in Monheim am Rhein an diesem Abend vor 86 Jahren

Am Mahnmal stellten zahlreiche Menschen Kerzen ab und gedachten der Opfer des Nationalsozialismus in der Stille des Abends. Fotos: Pia Mahr

Daniel Zimmermann erinnerte in seiner Rede an Monheimerinnen und Monheimer jüdischen Glaubens, die in ihrer Heimatstadt plötzlich ausgestoßen und aufs Übelste drangsaliert wurden. Die wenigsten überlebten die Zeit der Nationalsozialisten.

Hunderte Menschen kamen am Samstagabend in der Altstadtkirche zusammen, um ein Zeichen für Vielfalt, Respekt und Toleranz zu setzen.

Mehr als hundert Menschen nahmen die Gelegenheit zum Gedenken an die schrecklichen Ereignisse vom 9. November 1938 wahr und kamen am Samstagabend in der Altstadtkirche zusammen. Pfarrer Falk Breuer betonte eingangs die Wichtigkeit dieser Zusammenkunft und konnte sich über eine bemerkenswert volle Kirche freuen. Viele junge Monheimerinnen und Monheimer, die teilweise auch zum Programm beitrugen, kamen mit ihren Familien und sorgten für voll besetzte Bankreihen. Zu einer besonders feierlichen Stimmung trugen die musikalischen Beiträge des Jugendblasorchesters der Peter-Ustinov-Gesamtschule und der Musikschule bei. 

In seiner Rede erinnerte Bürgermeister Daniel Zimmermann an überlebende und getötete jüdische Monheimerinnen und Monheimer und erzählte ausführlich von den Schicksalen, die sie nach dem 9. November 1938 in Monheim am Rhein ereilten. Die teilweise exakten Hinweise auf auch heute noch in Monheim existierende Gebäude, Straßen und Institutionen ließen die Zuhörenden dabei die furchtbaren Ereignisse von damals nachfühlen.  

So berichtete Zimmermann, wie sich die Täter am Abend des 9. November 1938 im Saal Menrath trafen, dort wo sich heute die Kneipe „Spielmann“ befindet. Sie tranken viel Alkohol und planten dabei ihre Anschläge. Dann machten sie sich auf den Weg zum ersten von drei jüdischen Wohnhäusern, die sie bereits am Tag zuvor mit Teer und roter Farbe beschmiert hatten. „Sie warfen Steine in die Fenster, zerstörten Wohnungseinrichtungen und schmissen Schränke, Porzellan, Lampen und andere Dinge auf die Straße. Sie verprügelten die Bewohner und zogen weiter zum nächsten Haus“, so der Bürgermeister. Betroffen war die große Familie Herz, die an der Grabenstraße, der Frohnstraße und an der heutigen Franz-Boehm-Straße lebte. Ihr Haus an der Franz-Boehm-Straße verkauften Emmanuel und Joseph Herz nach dem Terror und den Einschüchterungen des 9. November an die Stadt Monheim. Die Stadtverwaltung richtete dort ab Sommer 1939 das so genannte Judenhaus ein. Alle Monheimerinnen und Monheimer jüdischen Glaubens wurden gezwungen, dorthin umzuziehen. Darunter waren zu diesem Zeitpunkt neben Emanuel und seiner erwachsenen Tochter Mathilde dessen Geschwister Joseph, Sara und Johanna Herz aus der Grabenstraße sowie Alfred und Goldine Herz aus der Frohnstraße. 

Daniel Zimmermann: „Diese Menschen hatten kein Einkommen, ihre Wohnungen waren ihnen genommen worden und sie wurden von allen anderen Menschen in der Stadt ausgegrenzt. Eine ältere Monheimerin erinnert sich, dass es Anwohner und Nachbarn gab, die am Straßenrand standen und applaudierten, als Bewohnerinnen und Bewohner des Judenhauses zum Rathaus geführt wurden, um von dort aus in den Tod deportiert zu werden.“

Von den 20 Menschen jüdischen Glaubens, die zur Familie Herz gehören, haben nur sieben den Holocaust überlebt. Unter den Überlebenden sind Artur und Marga Blumenfeld mit ihren beiden Kindern, die rechtzeitig nach Israel auswanderten. Auch an sie erinnerte Bürgermeister Daniel Zimmermann in seiner Ansprache. Dank Glück und Zivilcourage von Nachbarn und Bekannten überlebten auch Helene Wagner und Isidor Herz, die in der Frohnstraße 26 wohnten und dort von zwei Nachbarinnen drangsaliert wurden und dafür sorgten, dass sie immer wieder kurzzeitig verhaftet wurden. 

Nicht so viel Glück hatte Ernst Kolisch. Mit seiner traurigen Geschichte schließt Bürgermeister Daniel Zimmermann an diesem Abend seine Rede ab. Kolisch wohnte 1944 in einem gemieteten Zimmer im Waldschlösschen, einer Pension mit Kneipe, auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Kiesbaggerei, in der er arbeitete. Mit einer Kollegin, die heimlich BBC-Nachrichten hörte, tauschte er sich anhand von handgeschriebenen Zettel aus, um die neuesten Nachrichten zu erhalten. Ausgerechnet in den Tagen nach einem Zetteltausch über die Alliierten, die Aachen erreicht hätten, wurde Ernst Kolisch im Waldschlösschen von einem LKW-Fahrer aus Köln denunziert. Die Wirtstochter namens Hoffmann nahm die Angaben des LKW-Fahrers zum Anlass, Anzeige bei der Gestapo in Langenfeld zu erstatten. Krank und völlig abgemagert starb Kolisch am 26. März 1945 im Konzentrationslager Buchenwald. 

„Leute wie der LKW-Fahrer, wie Frau Hoffmann, Menschen wie ein namentlich nicht bekannter Handwerksmeister, der nach dem 9. November 1938 Bettwäsche und Tischdecken aus den überfallenen Wohnhäusern stahl, viele weitere Denunzianten, kleine oder große Profiteure und Menschen, die sich an den Diskriminierungen und Einschüchterungen beteiligt haben, sie haben sich hier in Monheim am Rhein und an tausenden anderen Orten in Deutschland schuldig gemacht“, so der Bürgermeister. Sie alle seien mitverantwortlich für das große Verbrechen der Shoah. 

„Mitschuldig haben sich aber auch die gemacht, die weggesehen haben, obwohl sie etwas hätten tun können. Deshalb ist es so wichtig, der Diskriminierung zu widersprechen. Das gilt damals wie heute.“ 

Leider, so der Bürgermeister weiter, gebe es viele Rechtsradikale, religiöse Extremisten und Menschenfeinde auf der Welt. „Und leider werden menschenverachtende Ideologien niemals ganz verschwinden. Umso wichtiger ist es, dass die große Mehrheit sich immer wieder gegenseitig darin versichert, dass sie für Vielfalt, Respekt und Toleranz eintritt. In Monheim am Rhein tun wir das am 9. November und vielen weiteren Tagen im Jahr.“ 

Und im Hinblick auf die in Sachsen und Thüringen erstarkte AFD sowie dem wiedergewählten amerikanischen Präsidenten Donald Trump, sagte Zimmermann: „Wenn eine Mehrheit aufhört, der Ausgrenzung und dem Hass zu widersprechen, dann richtet sich diese Ausgrenzung am Ende gegen uns alle. Rassismus, Diskriminierung oder Antisemitismus sind jedoch niemals eine Meinung, sondern immer ein unzulässiger Übergriff auf das Leben Anderer. Lasst uns nicht sein wie der LKW-Fahrer und Frau Hoffmann, die beiden Denunzianten, die Ernst Kolisch den Tod brachten. Lasst uns nicht sei, wie die Nachbarinnen auf der Frohstraße, die Helene Wagner und ihren Mann drangsalierten. Und lasst uns nicht sein wie diejenigen Monheimerinnen und Monheimer, die applaudierten, als ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger in Konzentrationslager deportiert wurden.“ 

Daniel Zimmermann dankte den Schülerinnen und Schülern, die an diesem Abend in kleinen vorbereiteten Wortbeiträgen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnerten und beschließt seine Rede mit dem bekannten Zitat von Franz Boehm, dem Monheimer Pfarrer, der 1945 im Konzentrationslager Dachau starb: „Ich will kein stummer Hund sein“. „Auch wir alle sollten keine stummen Hunde sein“, so Daniel Zimmermann „Egal, ob es um Antisemitismus, Rassismus oder die falsche Darstellung der Geschichte geht. Lasst uns den großen und kleinen Ungerechtigkeiten widersprechen und niemals zulassen, dass Menschen ausgegrenzt, gedemütigt oder entrechtet werden.“ 

Zur Kranzniederlegung am Mahnmal am Kradepohl verließen mehr als hundert Gäste die Altstadtkirche im Stillen, mit Kerzen in der Hand, die dann leise am Fuße des Gedenksteins abgestellt wurden. Zu dunkel klingenden Kirchenglocken verlief sich nach einer Weile die Gruppe derer, die an diesem Abend ein Zeichen setzen wollten. Ein Zeichen für Vielfalt, Respekt und Toleranz. (pm)

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