Auch wenn es abenteuerlich klingt: Im heutigen Stadtgebiet haben einst die Wölfe geheult. Einen ersten Fingerzeig gibt uns die Wolfhagener Straße. Schon im wohl 1911 erschienenen „Adreßbuch für den unteren Landkreis Solingen“ war sie verzeichnet.
Sie wird damals ein schmaler und unbefestigter Weg gewesen sein, der die Verbindung zum heutigen Langenfelder Ortsteil Wolfhagen herstellte. Die Wolfhagener Straße dort und die Wolfhagener Straße hier sind heute durch die Autobahn 59 und zwei Baggerseen voneinander getrennt.
Lange noch blieb das eine abgelegene und einsame Gegend. Das begann sich zu ändern, als die Deutsche Bauernsiedlung GmbH (Düsseldorf) an der Wolfhagener Straße Wohnhäuser errichtete. Das dem Deutschen Bauernverband gehörende gemeinnützige Unternehmen war auf „Nebenerwerbssiedlungen“ spezialisiert. Zu den Häusern gehörten große Nutzgärten, in denen auch Kleinviehhaltung möglich war. Die Rheinische Post berichtete im Dezember 1961:
„An der Wolfhagener Straße […] entstehen zur Zeit 15 schmucke Häuser, die in diesen Tagen im Rohbau fertiggestellt wurden. […] Außer an der Wolfhagener Straße werden noch 19 weitere Häuser an der Knipprather Straße und sieben Häuser an der Schwalbenstraße gebaut. Die Bauten an der Wolfhagener Straße dürften im Mai/Juni nächsten Jahres [1962] fertig sein. Mit den Arbeiten an den übrigen Häusern wird im Frühjahr begonnen. Sie sollen im Oktober 1962 bezogen werden.“
Weiter hieß es in der Rheinischen Post: „Stark in der Mehrzahl sind die Zweifamilienhäuser mit Einliegerwohnung. Die Wohnungen enthalten jeweils vier Zimmer einschließlich Wohnküche. Badezimmer werden nur in den Wohnungen der Eigentümer eingerichtet. Außerdem gehören zu jeder Nebenerwerbsstelle – die durchschnittliche Grundstücksfläche liegt bei rund 960 Quadratmetern – drei kleinere Stallungen (35 Quadratmeter) und ein Abstellraum für Geräte. Die Einfamilienhäuser sind 77 Quadratmeter groß – davon entfallen 16 Quadratmeter auf das teilausgebaute Dachgeschoß – und enthalten vier Räume, Küche sowie die Stallungen und Gerätekammern.“
Die Nebenerwerbsstellen, die jeweils 46.000 Mark kosteten, wurden an Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten vergeben.
Die Wolfhagener Straße zweigte ursprünglich direkt von der Berghausener Straße ab. Der alte Verlauf ist heute noch ab Höhe Benrather Straße in Richtung Grazer Straße erkennbar. Mit der anfänglichen Schotterpiste befasste sich am 8. März 1954 der Bauausschuss der Gemeinde Monheim. Anwohner hatten darum gebeten, ihre Straße „mit Kies oder sonstigem Material etwas zu verbessern“ und „für die Anfuhrkosten sämtliche Anlieger einschließlich Landwirte heranzuziehen.“
Da die Straße jedoch als „Interessentenweg“ eingestuft war, war eine Umlage der Kosten nicht ohne weiteres möglich. Amtsdirektor Hugo Goebel versprach, um „dem schlechtesten Teil der Straße wenigstens einigermaßen Untergrund geben zu können, die Beschaffung von Bahnschotter zu versuchen.“
Die heute im Stadtplan ausgewiesene Wolfhagener Straße hat mit der alten nur den Namen gemein. Um die Bauernsiedlung herum hat sich seit den frühen 1980er-Jahren das Österreich-Viertel gelegt.
Dass dort einst „Meister Isegrim“ umherstreifte, ist durchaus wahrscheinlich. „Nach der Hebeliste von 1425 des Amtes Monheim, zu dem ja auch Wolfhagen gehörte, hat der ‚Wolfjäger‘ zur Bekämpfung des Raubtieres jährlich einen rheinischen Gulden erhalten“, berichtete in den 1920er-Jahren Johann Berghöfer, evangelischer Pfarrer in Immigrath, in seiner Schrift „Orts- und Flurnamen der Gemeinde Richrath-Reusrath“.
Berghöfer gab indes zu bedenken: „Es ist auch möglich, dass ein Mann namens Wolf hier sein Anwesen baute.“ Darauf könnte „-hagen“ hindeuten, das etwas mit „einhegen“ zu tun hat. Der Namensforscher Heinrich Dittmaier erläuterte in seiner Untersuchung „Siedlungsnamen und Siedlungsgeschichte des Bergischen Landes“ (1956): „Ein Hagen ist ein Grundstück, das von einer wohl meist lebenden Hecke eingefriedigt und dadurch von seiner Umgebung abgesondert war.“
Otto Schell (1858–1931) schrieb im Jahrgang 1927 des „Bergischen Kalenders“ (Verlag Johann Heider, Bergisch Gladbach) über „Wolf und Wolfsjagden im Bergischen“. Dem Autor waren die zahlreichen Orts-, aber auch Pflanzennamen mit „Wolf“-Bezug „ein untrügliches Zeichen dafür, daß der Wolf einst ungemein heimisch in unseren Wäldern war. Heute lebt er nur noch in zahlreichen Sagen und anderm Volksgut.“
Schell berichtete, im Februar 1664 seien Wölfe in den Tiergarten von Schloss Benrath eingedrungen und hätten dort drei Hirschkälber und einen alten Hirsch gefressen. „Die Wölfe mögen damals im Winter, wenn der Rhein mit Eis bedeckt war, aus der Eifel herübergekommen sein“, so Schell.
Aus einer Verordnung des bergischen Herzogs Johann Wilhelm II. („Jan Wellem“) vom Januar 1681 gehe hervor, schreibt Bernhard Schönneshöfer in seiner „Geschichte des Bergischen Landes“ (Verlag A. Martini & Grüttesien, 2. Auflage, Elberfeld 1908, S. 320), „daß in verschiedenen Ämtern selbst im Sommer die Wölfe Kinder bei den Viehherden fortgeschleppt, zerrissen und gefressen haben. Jeder Untertan erhielt die Erlaubnis, auf Wölfe Jagd zu machen, jedoch nur außerhalb der fürstlichen Wildbahn, und für jedes abgelieferte Stück einen Preis.“
Auch der Dormagener Landwirt Joan Peter Delhoven berichtet mehrmals von zumeist winterlichen Begegnungen mit Wölfen („Rheinische Dorfchronik des Joan Peter Delhoven aus Dormagen 1783–1823“, erschienen 1966 im Eigenverlag der damaligen Amtsverwaltung Dormagen):
Der Wolf ist aus unseren Gefilden längst verschwunden, dasselbe Schicksal ereilte zuvor schon Bär und Luchs und noch früher Elch, Wisent und Auerochse. Seit der Mensch sesshaft geworden war und Viehzucht betrieb, betrachtete er das Großraubwild als Feind und begann mit dessen Vertreibung oder Ausrottung. Im 19. Jahrhundert ging die Zeit der einheimischen Wölfe zu Ende, so 1836 im Kottenforst bei Bonn und 1840 im Westerwald, wo ein 51 Kilogramm schwerer Rüde zur Strecke gebracht wurde. Die letzten Wölfe in der Eifel wurden in den 1880er-Jahren erlegt.
In jüngster Zeit mehren sich Anzeichen für eine Rückkehr der Wölfe. So wurde im Februar 2012 im Westerwald erstmals wieder ein Wolf gesichtet. Die Richtigkeit dieser Beobachtung bestätigte sich auf traurige Weise, als am 21. April in Hartenfels im Westerwaldkreis der Kadaver eines jungen Rüden gefunden wurde – von zunächst unbekannter Hand mit einer jagdüblichen Waffe erschossen.
Zu dem schweren Verstoß gegen das Naturschutzrecht bekannte sich ein 71-jähriger Jäger, der sich selbst bei der Polizei meldete und angab, er habe das Tier für einen wildernden Hund gehalten. Die Untersuchung des Kadavers ergab, dass es sich um einen Wolf handelte, der aus Italien abstammte.
Im Oktober 2018 hat das Landesumweltministerium in Nordrhein-Westfalen erstmals ein „Wolfsgebiet“ ausgewiesen, und zwar in und um Schermbeck im Kreis Wesel. Aktuelle Informationen zur weiteren Entwicklung gibt die Internetseite www.wolf.nrw.
Ein Kapitel für sich sind Werwölfe. Sie scheinen einstmals auch in unseren Breiten gespukt zu haben. Jedenfalls bringt Otto Schell in seinen „Bergischen Sagen“ (Nachdruck der Erstauflage 1897, Verlagsbuchhandlung Ute Kierdorf, ohne Ort und Jahr [frühestens 1978], S. 473) folgende, aus mündlicher Überlieferung geschöpfte Episode:
„Mädchen trägt einen Werwolf – Ein erwachsenes Mädchen ging einst von Baumberg nach Urdenbach. Dort besorgte es verschiedene Einkäufe und begab sich dann auf den Rückweg. Inzwischen war es Abend geworden. Da sprang ihr plötzlich ein großer Werwolf auf den Rücken. Deutlich spürte das Mädchen die Krallen des Untieres auf der Brust, und ächzend und stöhnend schleppte es sich vorwärts. Erst in der Nähe seiner Wohnung wurde es von dem Werwolf verlassen. Ganz ermattet stürzte es dann in die Stube zur Mutter.“
Zuletzt geändert am 5. Oktober 2018