Der „Rheinische Bote“ war die erste Monheimer Zeitung. Sie erschien von 1860 bis 1866, herausgegeben von dem theologisch inspirierten Philosophen und Publizisten Friedrich Pilgram. Den größten Teil seines Lebens verbrachte er in Monheim.
Geboren wurde Friedrich Pilgram am 18. Januar 1819 in Imbach, einem Ortsteil von Bergisch Neukirchen (heute Leverkusen). Er hatte zwei jüngere Geschwister, Robert und Auguste. Robert Pilgram wurde Kaufmann und war von 1858 bis 1871 Bürgermeister von Bergisch Neukirchen, 1871 von Burscheid. Die Mutter, Anna Gertrud geborene Schlickum aus Monheim (ihr Vater Georg Schlickum war Kaufmann am Markt), starb 1827; im Jahr darauf der Vater Gottfried Pilgram, ein Tuchfabrikant. Die Waisenkinder wurden im Haus ihres Großvaters Wilhelm Schlickum in Monheim aufgenommen, versorgt von einer unverheirateten Schwester ihrer Mutter.
In Köln besuchte Friedrich Pilgram zunächst eine Realschule, dann ein katholisches Gymnasium. 1838 oder 1839 wechselte Pilgram zum Gymnasium in Duisburg. Dessen Leiter Dietrich Wilhelm Landfermann führte Pilgram an philosophische, soziale und Glaubensfragen heran.
Nachdem er 1841 das Reifezeugnis erhalten hatte, begann Pilgram an der Universität Halle Philosophie zu studieren, zeitweilig aber auch Jura und Staatswissenschaften. Ausgiebig beschäftigte er sich mit den Werken Hegels.
1844/45 studierte Pilgram in Bonn; ab Sommer 1845 in Berlin, wo er Friedrich Wilhelm Schellings Vorlesungen über die Philosophie der Mythologie hörte. Im folgenden Jahr zog Pilgram nach Koblenz zu seinem alten Lehrer Landfermann. Am 23. Dezember 1846 trat Pilgram in der Koblenzer Kirche St. Barbara vom lutherischen zum katholischen Glauben über.
Im Revolutionsjahr 1848 befand sich Pilgram in Köln und begann mit publizistischer Tätigkeit. So verfasste er Beiträge für die neugegründete katholische „Rheinische Volkshalle“ (ab 1852 „Deutsche Volkshalle“), die Mitarbeit an anderen Publikation folgte. Im Jahr 1860, zu dieser Zeit lebte Pilgram wieder in Monheim, erschien sein fast 500 Seiten starkes Buch „Physiologie der Kirche“ im Verlag Kirchheim in Mainz. Die „Forschungen über die geistigen Gesetze, in denen die Kirche nach ihrer natürlichen Seite besteht“ (so der Untertitel) gelten Kennern als Pilgrams Hauptwerk.
Im selben Jahr, am 5. Januar 1860, hatte der Düsseldorfer Regierungspräsident Pilgram die Konzession für den von ihm gegründeten „Rheinischen Boten“ erteilt. Die erste Ausgabe erschien am 1. Februar 1860. Das Blatt mit einem Umfang von vier Seiten kam zunächst zweimal wöchentlich heraus (mittwochs und samstags), ab 1864 dreimal (dienstags, donnerstags und samstags).
Die Zeitung, die angeblich bis zu 900 Abonnenten hatte (in den 1860er-Jahren lebten in der Bürgermeisterei Monheim, zu der damals auch Baumberg und Rheindorf gehörten, etwa 3500 Menschen), gelangte in viele Nachbarorte, selbst auf der anderen Rheinseite. Gedruckt wurde das Blatt im Haus zum Schwanen (heute Kapellenstraße 2). Die letzte Ausgabe des „Rheinischen Boten“ erschien am 4. Januar 1866. Bereits im Vorjahr, schreibt Rolf Müller in seiner Stadtgeschichte „Upladhin – Opladen“ (S. 226), habe Pilgram „seine Zeitungsrechte […] auf Vermittlung des Opladener Kaufmanns Henseler, der seit 1860 den ,Rheinischen Boten‘ finanziell gefördert hatte, an Jakob Beck in Opladen“ übertragen. Beck gab fortan den katholisch orientierten „Boten am Rhein und an der Nieder-Wupper“ heraus.
Nur wenige Exemplare des „Rheinischen Boten“ haben sich erhalten. Das Monheimer Stadtarchiv besitzt im Original lediglich die Ausgaben vom 11. August 1860 und 23. Februar 1864. Ein offenbar vollständiger Jahrgang 1860 liegt im Internationalen Zeitungsmuseum der Stadt Aachen. Die beiden im Stadtarchiv vorhandenen Ausgaben des „Rheinischen Boten“ haben als Beilage von Verwaltungsakten überlebt. Die Belegstücke lassen erkennen, dass das Blatt keineswegs nur lokalen Anspruch hatte.
Die Nr. 64 vom Samstag, 11. August 1860, bringt auf der Titelseite „Tagesgeschichte“ mit Nachrichten aus dem In- und Ausland, die sich auf Seite 2 fortsetzen. Es folgen „Die Verhältnisse im Libanon“, offenbar fünfter Teil einer Serie „nach den Berichten der Kreuzzeitung“. Die Übernahme von Beiträgen aus anderen Zeitungen, ob mit oder ohne Quellenangabe, war bis ins 20. Jahrhundert gängige redaktionelle Praxis, zumal bei kleineren Blättern.
Auf der zweiten Seite findet sich des weiteren die Rubrik „Aus hiesiger Gegend (Eingesandt)“. Sie bringt aus Monheim einen Bericht über das Konzert des „Weyer Männer-Gesangvereins“ vom Vortag. „Besonderen Effekt machten ,Wie’s immer mag sein‘ und das zeitgemäße Lied: ,Prinz von Preußen, lege Deine Lanze ein!‘“ Ein Artikel über das Schützenfest in Schlebusch beschließt den lokalen Teil, es folgen die „Haus-Apotheke“ (wieder eine Übernahme aus einem anderen Blatt), „Landwirtschaftliches“ und „Vermischtes“. Womit dann auch die Seite 3 gefüllt wäre.
Die vierte und letzte bietet Platz für Anzeigen; eine Mischung aus amtlichen Bekanntmachungen, Geschäftswerbung, Veranstaltungshinweisen sowie einem Mundart-Gedicht aus Monheim unter dem Titel „Vivat Lorenz!“ – wahrscheinlich ein Geburtstagsgruß. Angefügt sind „Handels-Berichte“, „Fruchtpreise und Brodtaxen“, „Geld-Course“ und zum Abschluss „Neueste Nachrichten“. Ferner enthält die Nr. 64 eine „Zugabe“. Sie hat ebenfalls vier Seiten Umfang, allerdings im halben Format des Hauptblatts. Die „Zugabe“ ist religiösen und kirchlichen Themen gewidmet – Pilgrams Spezialgebiet.
Die Nr. 21 vom Dienstag, 23. Februar 1864, entspricht im großen und ganzen dem Schema der älteren Ausgabe. Der Zeitungskopf ist etwas anders gestaltet, die Gliederung in Rubriken wie „Tagesgeschichte“ „Vermischtes“ und „Handels-Berichte“ hingegen beibehalten. Neu ist ein anonymer Fortsetzungsroman unter dem Titel „Vermißt“: „Da fühlte sie plötzlich, ihre Nerven elektrisch durchzuckend, seine Lippen auf den ihren; aber ehe das Unerwartete, Verwirrende ihr noch Zeit zum Handeln gegönnt, hatte er schon in leisen Tritten die Seite ihres Lagers wieder verlassen.“
Breiten Raum nehmen Berichte über den deutsch-dänischen Krieg um Schleswig-Holstein ein. Dazu äußert sich unter „Eingesandt“ auch der Monheimer Bürgermeister Wilhelm Friesenkoten: „Die Einsassen der Gemeinde Monheim benachrichtige ich hierdurch, daß die stattgehabte Sammlung für die in Schleswig-Holstein stehenden Soldaten 45 Thaler 15 Silbergroschen aufgebracht hat und ein Theil hiervon den Söhnen hiesiger Gemeinde bereits direct zugesandt worden ist.“ Entsprechendes verkündet auch der Opladener Bürgermeister Alexander Vetter.
Die letzte Seite ist wieder mit Annoncen gefüllt. So erfährt man, dass „Stollwerck’sche Brust Bonbons“ – „Mit königl. kaiserl. Ministerial-Approbation! Vor Fälschungen wird gewarnt!“ – unter anderem erhältlich sind in Monheim bei G. Kippels und in „Hitdorff“ bei Peter Freiburg. Bei „Herrn Kippels“ gibt es aber nicht nur Brust-Bonbons, dort werden auch Anzeigen und Abonnements für den „Rheinischen Boten“ angenommen.
Ein Inserat in eigener Sache nennt zudem Annahmestellen in Opladen, Reusrath, Schlebusch, Lützenkirchen, Kürten, Wiesdorf, Dormagen, Worringen, Langel, Wevelinghoven, Butzheim (heute Ortsteil von Rommerskirchen), Mansteden (wohl der heutige Ortsteil Manstedten von Pulheim), Neuss, Köln und sogar Frankfurt am Main und Hamburg – ein deutlicher Hinweis auf die Verbreitungs-Ambitionen des Blattes.
1870, vier Jahre nach dem Ende des „Rheinischen Boten“, versuchte sich Pilgram nochmals als Zeitungsmacher. In Berlin war er an der Gründung der „Germania“ beteiligt, die mit Jahresbeginn 1871 täglich erschien. Bis März 1871 betätigte sich Pilgram als Leitartikler des Blattes, das ebenso preußisch wie katholisch sein wollte. Alsbald überwog die katholische Ausrichtung, die Zeitung entwickelte sich zum Zentralorgan der Zentrumspartei.
Pilgram kehrte nach Monheim zurück, wo er als „Litterat“ (so die Berufsbezeichnung in der Sterbeurkunde) bis zu seinem Tod ärmlich und zurückgezogen im heutigen Haus Turmstraße 24 lebte (die daran erinnernde Tafel hängt irrigerweise am Haus Nr. 20, seit 2022 städtische Kunstwerkstatt).
Nach langer schwerer Krankheit starb Pilgram am 21. November 1890 im Alter von 71 Jahren. Sein Grabmal hat sich erhalten. Es steht auf dem katholischen Friedhof, an der Nordwand der Kapelle (Zugang von der Friedhofstraße). Pilgrams Tod wurde dem Standesbeamten, Bürgermeister Theodor Grein, mitgeteilt von Conrad Pipping. Letzterer war Pilgrams Sekretär, schon seit 1858.
Für den zunehmend hinfälligen Pilgram – er sah und hörte schlecht und litt an Lähmungserscheinungen, die ihn ans Haus fesselten – war Pipping die rechte Hand. Er hatte wohl auch Zugriff auf Teile von Pilgrams Nachlass, die er offenbar für eigene – reichlich verworrene – publizistische Projekte ausbeutete. Der größere Teil der Hinterlassenschaften landete auf dem Dachboden von Pilgrams Wohnhaus und soll 1927 bei einem Eigentümerwechsel vernichtet worden sein.
Einen interessanten Aspekt erwähnt Theodor Prömpeler in seiner „Geschichte der ehemaligen Freiheit Monheim“ (S. 91): „Die Erhaltung des Schelmenturms ist einzig dem energischen Eintreten des Philosophen Friedrich Pilgram zu verdanken.“ Einzelheiten nennt Prömpeler leider nicht. Der Monheimer Gemeinderat beriet in den 1880er-Jahren über einen Verkauf des Schelmenturms (ein neuer, privater Eigentümer hätte dann möglicherweise den Abbruch betrieben). Vielleicht hat Pilgram hier eingegriffen. Der Turm wurde jedenfalls nicht verkauft.
Zuetzt geändert am 17. August 2023
Benutzte Literatur
Burbach, Werner: Die Anfänge des Zeitungswesens an der unteren Wupper, in: Land an Wupper und Rhein. Heimatkalender 1960, herausgegeben vom Rhein-Wupper-Kreis und der Stadt Leverkusen, Opladen, S. 91.
Casper, Bernhard: Die Einheit aller Wirklichkeit. Friedrich Pilgram und seine theologische Philosophie, Verlag Herder Freiburg im Breisgau, 1961.
Hinrichs, Fritz: Friedrich Pilgram und sein „Rheinischer Bote“, in: Land an Wupper und Rhein. Heimatkalender 1963, herausgegeben vom Rhein-Wupper-Kreis und der Stadt Leverkusen, Opladen, S. 160–164.
Macat, Andreas: Die Bergische Presse. Bibliographie und Standortnachweis der Zeitungen und zeitungsähnlichen Periodia seit 1769 (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung, Band 49, herausgegeben von Hans Bohrmann, Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund), K. G. Saur Verlag, München 1991.
Müller, Rolf: Upladhin – Opladen. Stadtchronik, Selbstverlag der Stadt Opladen, 1974.
Prömpeler, Theodor: Geschichte der ehemaligen Freiheit Monheim, Selbstverlag des Verfassers, 1929.