Ab 1275 erlebte Monheim eine dreimalige Befestigung durch die Grafen und Herzöge von Berg und zwei Schleifungen dieser Anlagen. Von der letzten Erneuerung der Befestigungsanlagen, ausgeführt um 1425 zum Schutz der Freiheit Monheim, zeugt bis heute der 26 Meter hohe Schelmenturm.
Während der steinerne Turm die Monheimer Straßen und Häuser nach Osten hin abschirmte, gab es im Westen als natürlichen Schutz den Rhein. Er floss direkt unterhalb der Kirche St. Gereon und des Marktstiegs vorbei.
Der rund sechshundert Jahre alte Schelmenturm hat seine mehr oder minder kriegerische Vergangenheit längst abgestreift. Auch seine Verwendung als Gefängnis und Spritzenhaus blieb Episode. 1779 gossen Martin und Peter Legros aus Malmedy für die Kirche St. Gereon drei Glocken im Schelmenturm. Für den Abtransport der Glocken wurde der bis heute bestehende Eingang an der Grabenstraße 30 ins Mauerwerk gebrochen.
Vor dem Ersten Weltkrieg pflanzte der damalige Obst-, Gartenbau- und Verschönerungsverein am Fuße des Schelmenturms rankende Gewächse, vermutlich Efeu. In den folgenden Jahrzehnten wucherte ein großer Teil der Mauerflächen zu. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Blätterkleid wieder beseitigt, auf Fotos aus den frühen 1950er-Jahren ist nur nacktes Mauerwerk zu sehen.
Doch seinen Dornröschenschlaf hatte der Turm damit noch nicht beendet. Am 6. Oktober 1970 beschloss die Stadtverordnetenversammlung, wie sich der Rat damals nannte, die Restaurierung des Schelmenturms. Dafür wurden 260 000 Mark bereitgestellt. Nach Abschluss der Arbeiten wurde der Turm am 20. Dezember 1972 seiner neuen Funktion als kulturelle und bürgerschaftliche Begegnungsstätte feierlich übergeben. Seither ist das Monheimer Wahrzeichen öffentlich zugänglich.
„Quadratisch – eckig – einfach“ fand der für den Umbau verantwortliche Architekt Erhard-Werner Richter das historische Bauwerk. Rund seien nur die Wendeltreppen, deren 79 Stufen manchen Gast aus der Puste bringen. Bei den Restaurierungsarbeiten wurden am Turm zwölf Fensterläden angebracht (drei an der Ostseite, drei an der Südseite, vier an der Westseite und zwei an der Nordseite). Elf davon sind rot-weiß gestrichen, einer der beiden von der Nordseite jedoch rot-gelb.
Warum das so ist, berichtete am 22. Januar 1973 die Westdeutsche Zeitung / Düsseldorfer Nachrichten. Demnach hatte der mit der Anfertigung der Fensterläden beauftragte Schreinermeister Wilhelm Furthmann seinem Freund Jupp Vollbach (1910–1984), ehemals Präsident der Altstadtfunken und stellvertretender Präsident der Großen Monheimer Karnevalsgesellschaft, einen eigenen Fensterladen versprochen – und so kam es zum rot-gelben Sonderfall.
Inzwischen wird der Schelmenturm auch als Trauzimmer genutzt. Als erstes Paar traten dort am 1. September 2000 der damalige Bürgermeister Dr. Thomas Dünchheim und seine Frau Nicole vor den Standesbeamten.
Der Name „Schelmenturm“ ist deutlich jünger als das Bauwerk. Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist in Dokumenten meist nur vom „alten Thurm“ oder „Thorthurm“ die Rede. Als „Schelm“ bezeichnete man früher nicht den fröhlichen Rheinländer, sondern die Spitzbuben und Verbrecher, die im Verlies schmachteten. Auch auf den Scharfrichter ging diese Benennung über.
Über den „Scharf- oder Nachrichter“ schrieb Theodor Prömpeler in seiner 1929 veröffentlichten „Geschichte der ehemaligen Freiheit Monheim“ (S. 32): „Dieser wohnte in Ratingen und war für das ganze Herzogtum angestellt. Er bezog jährlich um 1425 drei Rheinische Gulden und seit 1555 drei Reichstaler vom Amte Monheim und im 18. Jahrhundert auch noch einen Reichstaler von der Freiheit Monheim“.
Weiter heißt es bei Prömpeler: „Als Gerichtsgefängnis diente der Schelmenturm, der nach dem wohl am häufigsten vorkommenden Vergehen bezeichnenderweise auch Diebsturm genannt wurde.“
Über das aus Backsteinen gemauerte Gebäude berichtete Prömpeler (S. 92): „Der Torbau ist 5,75 Meter lang und 4,25 Meter breit. […] Über dem ganzen Torbogen befindet sich die ehemalige Torwächterwohnung, die heute als Transformatorenstation der elektrischen Leitung dient. Ihre Bedachung war früher stilgerechter, also spitzer als heute. Von außen führte früher eine steinerne Treppe zu der Torwächterwohnung hinauf. Von dieser hatte man den einzigen Zugang zu dem Innern des Schelmenturmes, in dem auch die Folterkammer untergebracht war. Die Folterwerkzeuge sind in den 1880er Jahren entfernt und vernichtet worden.“
Letztere Mitteilung verdanke er, so Prömpeler, dem „alten Herrn Wilhelm Menrath“ [wohl der Gastwirt Wilhelm Menrath (1849–1932)]. Der Historiker weiter: „Der Schelmenturm […] mißt außen im Geviert 9,25 Meter. Die Dicke der Mauern des Kellers und Erdgeschosses beträgt zwei Meter, die des 1. Stockwerkes etwa 1,50 Meter. Über dem Erdgeschoß, das ein massives Tonnengewölbe mit darüberliegenden Bohlen aufweist, erheben sich drei Stockwerke.“
Im „Lagerbuch“, einem Verzeichnis ihres Eigentums, das die Gemeinde Monheim frühestens 1846 angelegt hat, heißt es über den Schelmenturm: „Der alte ehemalige Gefangenen-Thurm ist Eigenthum des vormaligen Gerichtssprengels Monheim. Die von demselben jährlich eingehende Pacht (jetzt 6 Reichsthaler 15 Silbergroschen) bezieht jedoch die Civilgemeinde Monheim, dafür hat dieselbe aus diesem Erlöse dessen Unterhaltung zu bestreiten.“
Die „Nische mit dem Marienbilde“ über dem Tordurchgang hielt schon 1894 Paul Clemen (1866–1947), der Nestor der rheinischen Denkmalpflege, in seinen Aufzeichnungen fest. Die heute zu sehende Figur wurde 1959 aufgestellt.
Ihr Schöpfer war der Monheimer Bildhauer Heinz Püster (1908–1983), von dem auch das Mahnmal „Klagende Mutter“ an der Freilichtbühne (Kapellenstraße) und der Brunnen auf dem Alten Markt (Turmstraße) stammen. Die achtzig Zentimeter hohe und vierzig Kilogramm schwere Plastik hinter dem Schutzgitter ist aus Kalksandstein.
Maria sei gleichsam Sinnbild der Stadt, verweist Udo Mainzer in seinem Buch „Stadttore im Rheinland“ (Neuss 1976) auf den Mönch und Chronisten Caesarius von Heisterbach (um 1180–1240). Kaum ein Tor verzichte auf einen Votivheiligen, dessen Standbild meist oberhalb des Portals in einer Nische Platz finde. Marienfiguren seien besonders zahlreich vertreten.
„Diese Heiligen sollten Schutz gewähren. Dass sie feldseitig wie stadtseitig angebracht sind, weist auf unterschiedliche Bedeutungsinhalte. Vom Heiligen zur Feldseite erhoffte man vermutlich Schutz vor dem Feind, während der zur Stadt hin dem, der sie verließ, Beschützer sein sollte“, erläutert Mainzer.
Die im Laufe der Jahrzehnte grau gewordene Madonna zeigt sich seit August 2017 wieder strahlend weiß. Auf Initiative der Familie Peters, Gründer und Inhaber der ehemaligen Monheimer Brauerei, wurde die Figur aus ihrer Nische genommen und von dem Düsseldorfer Steinmetzen und Steinbildhauermeister Michael Schoemaker sorgfältig gereinigt.
Auf dem Dach des Schelmenturms dreht sich eine Wetterfahne. Sie zeigt einen Löwen – das Wappentier der einstigen bergischen Landesherren, das auch im Monheimer Stadtwappen zu sehen ist. Im Turm befindet sich die Kleinplastik „Tierfabel“ von Rudolf Christian Baisch (1903–1990). Die sechzig Zentimeter hohe, 1965 entstandene Bronzeplastik lässt die Bremer Stadtmusikanten erkennen.
So groß auch die Bedeutung des Schelmenturms für Monheims Geschichte und Gegenwart sein mag – einzigartig ist er nicht. Auch Hückeswagen, wie Monheim ehedem bergische Freiheit und bergisches Amt, erfreut sich eines Schelmenturms. So wird der ehemalige Bergfried von Schloss Hückeswagen genannt, der seinen Ursprung im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts haben soll und damit rund zweihundert Jahre älter wäre als sein Monheimer Pendant.
Und dieses wiederum hat noch einen kleinen Bruder: Das im Volksmund „Zolltürmchen“ genannte Gebäude an der Einmündung der Turmstraße in die Kapellenstraße hat mit der einstigen Zollstätte nichts zu tun, sondern müsste eigentlich Schelmentürmchen genannt werden. Errichtet wurde die verkleinerte freie Wiedergabe des Originals in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre, als die Nazis westlich der heutigen Kapellenstraße ein Aufmarschgelände anlegten. Daraus ging nach dem Zweiten Weltkrieg die Freilichtbühne hervor.
Im Oktober 2019 begannen an Fassaden und Dach des Schelmenturms umfangreiche Sanierungs und Restaurierungsarbeiten. Der an der Südostecke etwa zwanzig Jahre lang hochgerankte Efeu wurde entfernt. Das Dach erhielt eine neue Schieferdeckung, die Außenmauern eine neue Verfugung. Während der Arbeiten, die von bauhistorischen Forschungen begleitet wurden, war der Schelmenturm hinter einem mit weißen Planen verhängten Gerüst verborgen.
Im September 2021 waren die Maßnahmen abgeschlossen, Gerüst und Planen wurden entfernt und gaben den Blick frei auf das alte Wahrzeichen in neuem Glanz. Den bei der Sanierung des Schelmenturms Anfang der 1970er-Jahre eingebauten Fugenmörtel aus Zement hatten die Restauratoren durch Kalkmörtel ersetzt, was der Entstehungszeit des Schelmenturms, dem frühen 15. Jahrhundert, entspricht. Die Fugen zwischen den Ziegelsteinen sind nun nicht mehr grau, sondern gelblich, was den Turm bei Sonnenschein geradezu aufleuchten lässt.
Zuetzt geändert am 4. Juli 2023
Quellen
Stadtarchiv Monheim am Rhein: Akte Nr. 20 (Lagerbuch der Gemeinde Monheim).
Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. Im Auftrage des Provinzialverbandes herausgegeben von Paul Clemen. Dritter Band, II.: Die Kunstdenkmäler der Städte Barmen, Elberfeld, Remscheid und der Kreise Lennep, Mettmann, Solingen; Verlag L. Schwann, Düsseldorf 1894, S. 103/104.
Prömpeler, Theodor: Geschichte der ehemaligen Freiheit Monheim, Selbstverlag des Verfassers, Euskirchen 1929.