Ein wertvolles Relikt im Boden von Haus Bürgel sind die Überreste der ältesten Kirche von Zons. Bis ins 14. Jahrhundert lagen beide Orte auf derselben Rheinseite, nämlich der linken. Und so erbauten die Zonser ihre erste kleine Kirche im Innenhof von Bürgel, etwa zwanzig Meter vom heutigen Hoftor entfernt.
Wann das geschah, ist nicht ganz klar. „Frühestens im 6. Jahrhundert“, schrieb der Historiker Theodor Prömpeler (1884–1954) in seiner Untersuchung „Die kirchlichen Verhältnisse zu Monheim und Baumberg“ (1925); „vermutlich im 9. Jahrhundert“, hieß es beim 1987 erfolgten Eintrag des Innenhofs von Haus Bürgel in die Denkmalliste der Stadt Monheim am Rhein.
Benannt war die Kapelle nach Maternus, dem ersten namentlich bekannten Bischof von Köln. Das Maternus-Patrozinium ist relativ selten. Im Erzbistum Köln wären zu nennen: Alt und Neu St. Maternus in Köln-Rodenkirchen sowie St. Johannes der Täufer und St. Maternus in Weilerswist-Metternich. Eine Maternus-Kapelle steht in Kürten-Bechen, Ortsteil Schnappe. Im Bistum Aachen besteht die Pfarrgemeinde St. Maternus in Gangelt-Breberen. Maternus war Zeitgenosse Kaiser Konstantins I., der von 306 bis 337 an der Spitze des römischen Reiches stand. Maternus und Konstantin sind sich aller Wahrscheinlichkeit nach persönlich begegnet. Konstantin gilt als der erste römische Kaiser, der sich zum Christentum bekannte.
Bürgel blieb auch Mutterkirche von Zons, als der aufstrebende Ort längst eine Filialkirche erhalten hatte und von der Maternus-Kapelle durch die Rheinverlagerung abgetrennt war. Der Fluss hatte sich nach einem schweren Hochwasser 1374 ein neues Bett gesucht. So mussten die Zonser Geistlichen zur Bürgeler Messfeier mit der Fähre übersetzen, was bei Hochwasser und Eisgang oftmals schwierig, wenn nicht unmöglich war. Die Pfarrei Bürgel wurde erst 1843 aufgehoben. Danach verfiel die Maternus-Kapelle zusehends und wurde um 1916 abgebrochen – von der Ruine sind zwei Fotos bekannt, eines davon ist im Römischen Museum und auf dieser Seite zu sehen.
Seit 1824, berichtet Fritz Hinrichs in seiner „Geschichte der Monheimer Höfe“ (1959), war Franz Joseph Wirtz Pächter von Haus Bürgel. Wirtz habe folgende Ausstattungsgegenstände der Kapelle festgehalten (S. 16): „7 Kaseln [liturgische Gewänder] nebst Zubehör, 3 Alben, 2 Kelche, davon einer vergoldet und ein anderer aus Messing, ein paar Gefäße für Wasser und Wein nebst Teller von Zinn zum Gebrauch beim heiligen Meßopfer. 4 Altartücher, 3 Meßtücher, davon eins mit rotem Samt überzogen, 1 ziemlich großen Taufstein aus wildem Marmor, 1 Beichtstuhl, 2 alte zinnerne Altar-Leuchter und 1 Turmglocke.“
Weiter heißt es bei Hinrichs (S. 17): „Aus dem Jahre 1915 liegt noch ein Bericht des Pächters Franz Schmitz über die Kapelle vor. Er erinnert sich, daß in den 80er Jahren die Glocke ohne Klöppel nach Immigrath gekommen sei. In Bürgel befänden sich noch 3 Meßbücher, 2 Kaseln, 1 zinnerner Kelch mit Patina, 1 Ciborium, 1 Meßschelle und der marmorne Taufstein mit ingesiegelter Reliquie. Ein silbern vergoldeter Kelch sei vor einigen Jahren vom Grafen [Nesselrode] mit nach Herten genommen worden, wohin auch der Taufstein geschafft werden mußte.“
In der „Monatsschrift des Vereins für die Geschichts- und Alterthumskunde von Düsseldorf und Umgegend“ schrieb Wilhelm Herchenbach in Nr. 5/1881, S. 37:
„[Die Maternus-Kapelle] ist jetzt so gänzlich verwahrlost, dass das Regenwasser, welches durch das defecte Dach fliesst, in derselben Pfützen bildet. Dem Volksglauben gemäss soll an ihrer Stelle einst ein Heidentempel gestanden haben. Ein in der Giebelwand des Daches eingemauerter Kopf, welcher für ein heidnisches Heiligthum gehalten wird und der in den westlichen Giebel eingelassene Matronenstein deuten allerdings darauf hin, doch ist nicht allzuviel darauf zu geben.
In der Nordwestecke der Kapelle steht das steinerne pokalförmige Becken eines Taufsteines, auf dessen Aussenseite sich vier glänzend schwarze Köpfe, sowie Blätter und Thiere befinden. Es scheint sehr alt zu stein. In etwa erinnert dasselbe an den Chlodwig’schen Taufstein zu Zülpich. An einer der Wände hängt ein altdeutsches Bild, eine Kreuzigung, welches bereits ganz verblichen ist und einem schnellen Ruine entgegengeht.
An der entgegengesetzten Wand steht am Fussboden eine geborstene Heerdplatte mit Wappen und Inschrift. Der Altar zerfällt. Das Ganze macht einen recht traurigen Eindruck, und es wäre zu wünschen, dass die genannten Gegenstände dem historischen Museum zu Düsseldorf übergeben würden.“
Dreizehn Jahre nach dieser Veröffentlichung war vom Nestor der rheinischen Denkmalpflege, Paul Clemen (1866–1947), in den „Kunstdenkmälern der Rheinprovinz“ über die Maternus-Kapelle zu lesen (dritter Band, II., Verlag L. Schwann, Düsseldorf 1894, S. 90):
„Die Kirche dient nicht mehr zum Gottesdienste und steht leider ganz verwahrlost. Rechteckiger, flachgedeckter Bau, regelmässig aus Tuff errichtet, mit einzelnen, grossen Tuffquadern, die Giebel aus Backsteinen aufgeführt. An der Südseite noch ein rundbogiges Fenster (vermauert), die im Flachbogen geschlossenen Fenster sowie das Portal entstammen erst dem 18. Jh. Im Inneren niedriger Triumphbogen, vor dem Chörchen grosse Altarmensa. Über dem Chörchen im Ostgiebel ein rohskulptierter menschlicher Kopf eingemauert […].“
Zudem erwähnte Clemen ebenfalls den Matronenstein im Westgiebel (S. 88). Wie schlecht es zuletzt um das Kirchlein stand, schilderte Adam Otten, von 1895 bis zu seinem Ruhestand 1910 Pfarrer in Zons, in seinem Buch „Zons am Rhein“ (Verlag L. Schwann, Düsseldorf 1903, S. 17):
„Von der Kapelle, die inmitten des Schlosshofes steht, sind nur noch Ruinen vorhanden. Das Innere derselben ist 35 Fuß lang und 25 Fuß breit. Sie hatte noch vor nicht langer Zeit eine platte Decke und ein an der Westseite [recte: Ostseite] des Daches befindliches niedriges, hölzernes Glockentürmchen. Für das Alter derselben gibt es keinen Anhalt, sie ist im Inneren wie im Äußeren ohne alle architektonische Gliederung und Verzierung. In der Giebelwand war ein Kopf eingemauert, welchen der Volksglaube für einen Rest des heidnischen Altertums hielt.
Dach und Türmchen sind nicht mehr da, es stehen nur noch die teilweise zerfallenen Mauern der Langseiten und des Chors, sowie der aus Backsteinen aufgeführte, ebenfalls halb zerfallene Altartisch. Der Boden ist noch teilweise mit großen Steinplatten belegt. Paramente und Kelch aus der Kirche zu Bürgel sind der Kirche zu Urdenbach leihweise übergeben.
In einer Ecke der Kapelle steht noch der alte Taufstein. Die daran angebrachten Verzierungen von Köpfen, Tiergestalten und Schildern lassen auf ein sehr hohes Alter schließen. Der ganze Taufstein besteht aus schwarzem Stein; das Taufbecken mißt 3 ½ Fuß im Durchmesser und ruht auf einer ebenso hohen runden Säule.“
Zu Ottens Hinweis, Paramente und Kelch der Bürgeler Kirche befänden sich in Urdenbach, teilte Pfarrer Dr. Thomas Vollmer von der Katholischen Kirchengemeinde Herz Jesu im Mai 2011 auf Anfrage mit: „[…] aus unserem Inventarverzeichnis, das 1903 angelegt und bis in unsere Zeit fortgeschrieben wurde, sind keine Eintragungen ersichtlich, die eine Übergabe oder auch eine leihweise Überlassung von Gegenständen aus der früheren Maternus-Kapelle in Haus Bürgel belegen könnten.“
Auf den von Otten beschriebenen Taufstein war Clemen noch etwas detaillierter eingegangen (S. 90/91): „Romanisch, aus dem 12. Jh., 78 cm hoch, aus Namurer Blaustein [blau-schwarzer Marmor], rundes Becken von 1,05 m Durchmesser mit vier Eckköpfen,die vier Felder verziert abwechselnd mit Drachengestalten in Flachrelief und Rundbogenfries. Jetzt auf einem einzigen Mittelzylinder aufgestellt, ursprünglich, nach der Form des Fusses, mit vier Ecksäulchen versehen.“
Otto Redlich, Direktor des Staatsarchivs Düsseldorf, kannte die Maternus-Kapelle ebenfalls aus eigener Anschauung. „Jene kleine Kirche aber, die mitten im Hof stand, die Mutter der Zonser Kirche und trotz ihres schlichten Aeußern ein ehrwürdiges Denkmal der Vergangenheit, ist trotz des Widerspruchs des Provinzialkonservators durch die jetzigen Besitzer vom Erdboben getilgt worden. Ich freue mich, sie noch so gesehen zu haben, wie Clemen sie in den Kunstdenkmälern beschreibt. Aber ich vermag nicht einzusehen, warum die Gutsherrschaft die geringen Kosten einer würdigen Erhaltung nicht aufzubringen vermochte. Noblesse oblige“, schrieb Redlich in seinen „Wanderungen an Rhein und Ruhr“ (Düsseldorfer Jahrbuch, 31. Band 1920/24, herausgegeben vom Düsseldorfer Geschichtsverein, Düsseldorf 1925, S. 24/25).
Interessante und teils spektakuläre Ereignisse aus der Zeit, als Zons kirchlich zu Bürgel gehörte, hielt der Zonser Küster Johannes Peter Schwieren für die Nachwelt fest. „Die Schwieren-Chroniken aus Zons“, herausgegeben von Thomas Schwabach, wurden 2005 vom Kreisheimatbund Neuss veröffentlicht.
Die ehemalige Glocke der Maternus-Kapelle erklingt noch heute. Sie läutet in Langenfeld-Berghausen in der 1926 geweihten Kirche St. Paulus, erster von vielen Kirchenbauten des aus Langenfeld stammenden Architekten Bernhard Rotterdam (1893–1974). Die Glocke trägt die Jahreszahl 1400. Von Haus Bürgel gelangte sie zunächst nach St. Josef in Langenfeld-Immigrath, wo sie 1925 durch die Anschaffung neuer Glocken entbehrlich wurde.
Auf das 12. oder 13. Jahrhundert wird der Taufstein aus Blaustein (blau-schwarzer Marmor aus Namur in Belgien) datiert, der einst in der Maternus-Kapelle stand. Er blieb im Besitz der Grafen von Nesselrode, die Haus Bürgel 1698 erwarben und bis 1989 bewirtschafteten. Der Taufstein befindet sich heute in der Kirche St. Nikolai in Brandenburg an der Havel.
Auch der Matronenstein im Westgiebel der Kapelle (siehe oben die Augenzeugenberichte von Herchenbach und Clemen) hat deren Abbruch überstanden. Nach Angaben in der Sammlung zur Heimatgeschichte im Deusser-Haus wurde der Stein im Nordgiebel des früheren Kuh- und heutigen Pferdestalls von Haus Bürgel vermauert. Dort wurde er im Zuge der umfassenden Sanierung und Restaurierung in den 1990er-Jahren wieder ausgebaut und ans Rheinische Landesmuseum in Bonn abgegeben. Ein Abguss ist im Museum Haus Bürgel zu sehen. Das Original ist datiert auf „2./3. Jahrhundert“.
Die „Matronae“ waren keltisch-germanische Muttergottheiten, die als Spenderinnen von Fruchtbarkeit, Schutz und Segen galten. Nach römischer Sitte wurden ihnen Weihesteine gewidmet. Über der Inschrift waren häufig drei nebeneinandersitzende in wallende Gewänder gekleidete würdevolle Frauen dargestellt, die beiden äußeren älteren mit ballonartiger Haube, die mittlere jüngere barhäuptig mit langem Haar. Ein großes Matronen-Heiligtum wurde bei Bad Münstereifel-Nöthen freigelegt.
Der bevorstehende Bau eines Besucherwegs im Innenhof von Haus Bürgel veranlasste das LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, Außenstelle Overath, zu einer Grabung nach Überresten der Maternus-Kapelle. Bei einer Ortsbesichtigung durch den Verfasser dieses Beitrags am 6. Mai 2014 waren die freigelegten Fundamentmauern zu sehen; der Grundriss der Kapelle, wie er in den „Kunstdenkmälern der Rheinprovinz“ wiedergegeben ist, war sehr gut zu erkennen.
Die Mauern setzten größtenteils direkt unter dem heutigen Bodenniveau an, nur an der südlichen Seite lagen sie etwas tiefer. In der Nordwest-Ecke war – ebenfalls übereinstimmend mit dem Grundriss in den „Kunstdenkmälern“ – das Fundament für den Taufstein zu erkennen, nach Osten zu das Fundament für den Altar. Am kleinen, oktogonförmigen Chorraum fehlte die Nordwest-Ecke. Die Mauern der Maternus-Kapelle waren etwa einen halben Meter dick und bestanden aus Bruchstein mit Ziegelanteilen.
An der Südseite waren in der Grabensohle weitere Fundamentreste erkennbar, die offenbar nicht zur Kapelle gehörten. Falls sie römischen Ursprungs wären, könnten sich daraus neue Erkenntnisse zur Baugeschichte von Haus Bürgel ergeben, denn nach bisherigem Stand war der Innenhof frei von römischer Bebauung.
Von Bruno Benzrath, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Interessengemeinschaft Urdenbacher Kämpe – Haus Bürgel, erhielt der Verfasser am 22. Mai 2014 die mündliche Mitteilung, dass bei der Grabung ein Weihestein mit einer Inschrift gefunden worden sei. Der Stein habe mit der Inschrift nach unten im Boden gelegen und solle im LVR-Landesmuseum Bonn untersucht und restauriert werden.
Darüber berichten Gerhard Bauchhenß, Erich Claßen und Christian Schwabroh im Jahrbuch „Archäologie im Rheinland 2014“ (S. 148–150). Der 88 Zentimeter hohe, 48 Zentimeter breite und 18 Zentimeter dicke Kalkstein sei an der Nordost-Ecke der Maternus-Kapelle wahrscheinlich in Drittverwendung als Baumaterial verwendet worden. Die Schauseite trage eine Widmung für die Matronae Alagabiae und eine ringsum laufende Schmuckleiste aus langgezogenen Perlen. Die beiden Schmalseiten seien jeweils mit einem Füllhorn versehen, zudem sei eine Kugel als Symbol für den Globus und vielleicht ein Rad zu erkennen. Auf der Rückseite befindet sich eine auffällige quadratische Vertiefung, die vermutlich von der vorherigen Verwendung des Steins stammt.
Darüber, in welchem Jahrhundert die Ursprünge der Maternus-Kapelle zu suchen seien, kann weiterhin nur spekuliert werden. „[…] 6., 8. oder 9. Jahrhundert […] auch die neue Grabung konnte in dieser Hinsicht keine Aufschlüsse erbringen“, schreiben die Fachleute. Im September 2015 stand der aus dem 2. bis 3. Jahrhundert stammende Matronenstein auch in der Reihe „Fund des Monats“ im Landesmuseum Bonn im Blickpunkt. Die Inschrift lautet:
MATRON[IS] | Den Alagabischen Matronen (geweiht)! |
ALAGABIABU[S] | |
C(AIUS) SATURNINI|[U] | Caius Saturninius Maternus (hat) |
S MATERNUS | |
PROSE ET SUIS | für sich und die Seinen (diesen Altar gestiftet). |
V(otum) S(olvit) L(ibens) M(erito) | Das Gelübde hat er gern und gebührend eingelöst. |
Lage und Grundriss der ehemaligen Maternus-Kapelle sind seit Juli 2016 durch eine Steinpflasterung kenntlich gemacht.
Zuletzt geändert am 6. September 2017