„Ich freue mich über jedes Land, jede Stadt und jeden Stolperstein, der zu meinem Projekt hinzukommt. Das Verlegen ist für mich nie zur Routine geworden, auch wenn ich das Einsetzen inzwischen vermutlich sogar im Dunkeln könnte. Denn es sind ja immer wieder ganz individuelle Schicksale, die sich hinter jedem einzelnen Stein verbergen.“ Mit diesen einleitenden Worten unterstrich der Künstler Gunter Demnig die Bedeutung, die er persönlich der jüngsten Stolperstein-Verlegung in Monheim am Rhein beimisst. Und er ergänzte: „Ich freue mich zudem ganz besonders, dass die Stadt nun gerade das Schicksal ihrer Zwangsarbeitskräfte so in den Fokus rückt.“
Insgesamt 11 von 16 neuen Monheimer Stolpersteinen wurden am Mittwoch, 5. November, vom Künstler selbst verlegt – in einem Rahmen, der ebenfalls unterstrich: Es ist auch für die Stadt keine Routine, obwohl hier lediglich weitere Mosaiksteine zu einem noch lange nicht beendeten Monheimer Erinnerungsprojekt hinzugefügt wurden. Gäste aus Malbork, mit Bürgermeister Marek Charzewski an der Spitze, begleiteten die Verlegung ebenso wie zahlreiche interessierte Bürgerinnen und Bürger. Junge Musikerinnen und Musiker der Peter-Ustinov-Gesamtschule (PUG) sorgen gemeinsam mit zwei Malborker Sängerinnen für eine würdevolle Atmosphäre an den Verlegeorten. Zwölftklässler des Geschichtsprojektkurses von Magdalena Vogt und Stefanie Otto, ebenfalls von der PUG, erinnerten zudem mit kurzen Lesungen an das Schicksal der Menschen, deren Namen nun auf den von Gunter Demnig geschaffenen Steinen und damit für immer im Stadtbild verewigt sind.
Marek Charzewski hob bei der Verlege-Zeremonie mit Blick auf das Schicksal seiner Landsleute, die in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs einer „neuen Art der Sklaverei“ zum Opfer gefallen seien, hervor, wie erfreulich und wichtig es sei, dass man sich heute gemeinsam und als Freunde an diese schlimme Zeit erinnern könne und an einer gemeinsamen Zukunft in einem vereinten Europa baue. „Trotz der von oben erlassenen Verbote, keine persönlichen Kontakte zu den Zwangsarbeitskräften zu pflegen, musste jeder Deutsche doch für sich entscheiden, wie er sich am Ende tatsächlich verhielt“, unterstrich Malborks Stadtoberhaupt. „Wir wissen dabei aus vielen Berichten von Landsleuten, dass sich glücklicherweise nicht alle von der NS-Propaganda hinreißen ließen und inmitten dieser schlimmen Zeit auch immer wieder Menschlichkeit bewiesen.“ Das gilt im Besonderen für Monheims Pfarrer Franz Boehm, der sich, selbst der polnischen Sprache mächtig, sehr um das Schicksal der in Monheim eingesetzten Zwangsarbeitskräfte bemühte – und seine klare Haltung gegenüber dem NS-Terrorregime im KZ Dachau schließlich mit dem eigenen Leben bezahlte. Auch an ihn erinnert heute ein Stolperstein.
Opfer einer neuen Form der Sklaverei
„Trotzdem“, so Monheims Bürgermeister Daniel Zimmermann, „hat es auch hier bei uns die gleichen Verbrechen gegeben, wie in tausenden anderen Orten Deutschlands. Auch hier haben Menschen weggesehen, als ihre Nachbarn zu Ungleichen gemacht, entrechtet und schließlich ermordet wurden. Das traf insbesondere die Mitmenschen jüdischen Glaubens.“ Doch die Zahl der direkten und indirekten Opfer von Zwangsarbeit, die während ihres oft langjährigen Monheimer Aufenthalts entweder selbst zu Tode kamen oder hier ihre Ehefrauen, Männer, Kinder, Brüder und Schwestern verloren, liegt sogar noch weit höher. Sie wird die Anzahl der Monheimer Stolpersteine allein in den nächsten beiden Jahren auf rund 60 ansteigen lassen.
Die bereits jetzt verlegten und noch zu verlegenden Steine erinnern künftig an Menschen, die in Baumberg und Monheim auf Bauernhöfen, in Kiesbaggereien, bei Baufirmen und in Fabriken Zwangsarbeit leisten mussten. Bürgermeister Daniel Zimmermann: „Allein bei Pötz und Sand wurden 300 Menschen dazu gezwungen, Panzerketten und Munition herzustellen. Sie lebten eng zusammengepfercht in Sammellagern und wurden schlecht versorgt.“ Insgesamt mussten rund 1400 Frauen, Männer und Kinder in Monheim, Baumberg und Hitdorf Zwangsarbeit leisten. „Die meisten von ihnen kamen aus der Sowjetunion der Ukraine und aus Polen. Aber auch aus den Niederlanden, Italien, Belgien, Frankreich und Serbien wurden Menschen aus ihrer Heimat verschleppt, um in Monheim Sklavenarbeit zu leisten“, erinnert Zimmermann. „32 von ihnen starben aufgrund der schlechten Wohn- und Arbeitsbedingungen, die man ihnen hier bei uns zumutete, weil ihnen eine ordentliche medizinische Versorgung verwehrt blieb, sie bei Luftangriffen keine Schutzkeller aufsuchen durften, oder weil sie einfach erschossen wurden.“ Es sei ein besonders beschämender Teil der Monheimer Geschichte, weil sie nicht nur von Entrechtung und Ausbeutung erzähle, sondern auch von Profitgier und Unmenschlichkeit.
„Dass wir heute, 72 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Rahmen von Städtepartnerschaften so viele Freundschaften zu Menschen aus Malbork in Polen und Tirat Carmel in Israel aufbauen ist ein kleines Wunder. Und es ist vor allem eine große Chance“, unterstrich Monheims Bürgermeister. „Denn die persönliche Begegnung und die Möglichkeit, Freundschaften über die Grenzen hinweg zu schließen, baut Vorurteile ab.“ Respekt, Offenheit und Toleranz würden so Diskriminierung, Intoleranz und Fanatismus entgegenwirken.
Erinnern statt Vergessen
Gegen das Vergessen hat die Stadt auf dem katholischen Friedhof an der Friedhofstraße in Kooperation mit der Katholischen Kirchengemeinde St. Gereon und St. Dionysius nun auch einen neuen Gedenkstein aufgestellt. Seine Inschrift erinnert an die Zwangsarbeitskräfte, die hier seit über 70 Jahren begraben liegen. Der Gedenkstein stand am Mittwoch ebenfalls auf dem Besuchsprogramm für die Malborker Gäste.
Erstmals hat die Stadt nun eine Begleitbroschüre herausgegeben, die in Zusammenarbeit mit dem Monheimer Historiker Karl-Heinz Hennen entstanden ist. Auf 48 illustrierten Seiten macht die in englischer und deutscher Sprache erschienene Broschüre mit dem Titel „Erinnern statt Vergessen“ auf die menschlichen Schicksale hinter den Namen auf den bislang verlegten Stolpersteinen aufmerksam. Sie enthält auch schon Informationen zu fünf bereits gelieferten Steinen, die die Stadt in den kommenden Wochen in Eigenleistung verlegen wird. Im Mai 2019 wird Gunter Demnig dann mit weiteren Stolpersteinen im Gepäck zu einer größeren Verlegeaktion nach Monheim am Rhein kommen – 58 Steine sollen es bis Ende 2019 nach derzeitiger Planung werden, so dass die Seitenzahl der Broschüre mit künftigen Auflagen noch weiter wachsen wird.
Die Erstauflage liegt ab sofort im Rathaus, der Volkshochschule und der Bibliothek kostenlos zur Mitnahme aus. In ihr sind die Wege zu bislang 30 Stolpersteinen beschrieben – „Wegweiser, die uns durch die Stadt begleiten und zum Nachdenken über die wohl bitterste und schrecklichste Zeit der deutschen, aber auch der Monheimer Geschichte anregen und zugleich mahnen, in der Zukunft den Anfängen zu wehren“, so Bürgermeister Daniel Zimmermann im Vorwort. (ts)